Donnerstag, 1. Mai 2014

Ichotomie

Ich, mich, meins. Immer nur dieses, in Ewigkeit, ego. Ich ist ein Wort, das uns am meisten bedrückt und beflügelt, es ist ein Wort, das seine Häufigkeit umso mehr steigern kann, je weniger es in den tauben Ohren der anderen Anderen Gehör findet. Mit diesem Wort werden Schlachten verloren und Kriege gewonnen, diese winzigen dreieinhalb Buchstaben beherrschen das Denken und das Tun der Menschen wie kaum ein anderes Ding. Noch nicht einmal Gott ist so einflussreich wie das ich. Dabei ist es schon in seiner äußeren Erscheinung zutiefst gespalten. Es sind da die drei sichtbaren Buchstaben, oben links zu allem Überfluss mit einem frei schwebenden Auge versehen, und die zwei hörbaren Laute, deren artikulatorischer Geburtskanal nicht enger sein könnte, ja es verengt sich im Prozess der Aussprache soweit, dass das hauchdünne Schwänzchen des ich es gerade noch schafft, den Mund zu verlassen, bevor die unbeugsamen Lippen wie zwei eiserne Vorhänge übereinander fallen, um wie zwei zischende Pressplatten wieder zusammengepresst zu werden. Um ein Hundertstel eines Mini-Millimeters entgeht das ich der Gefahr des Abgewürgt- und Abgeschnittenseins. Und dennoch wagt es seine Geburt immer und ewiglich immer wieder, verbissen und zähneknirschend sich dem verhängnisvollen Schicksal ergebend. Das ist sein Schicksal. Das ist unser aller Schicksal auf der Suche nach verlorenem Paradies.

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